VERZAUBERUNG AUF ZEIT
Harald Szeemann
Harald Szeemann gehört zu den international bestrenommierten Vermittlern der zeitgenössischen Kunst. In seinen programmatischen Ausstellungen widerspiegelt sich der Zeitgeist; die internationale Fachkritik und nicht zuletzt die Besuchermassen sind der Masstab des Erfolgs.
1933 in Bern geboren, hat Szeemann dort und in Paris Kunstgeschichte studiert und nebenbei Einmanntheater gespielt. Nach der Demission von Franz Meyer wurde er 1961 Direktor der Berner Kunsthalle. Ein Amt, das er bis 1969 innehatte. Sein Ausstellungsprogramm liess deutlich eine regionale und überregionale Komponente erkennen. Früh schon wies Szeemann auf Künstler wie Jasper Johns, Roy Lichtenstein oder Robert Rauschenberg hin.
Höhepunkte der Aera Szeemann in Bern wurden 1968 Chrstos "Verpackung" der Kunsthalle und ein Jahr später die berühmt gewordene Ausstellung "When Attitudes Become Form" (Wenn Attitüden Form werden), in der Szeemann Künstler und Arbeiten aus Europa und den USA vorstellte, für deren verbindende künstlerische Haltung noch gar kein Begriff vorhanden war. Die sinnlich verwirrende und die künstlerische Entwicklung ungemein tief beeinflussende Ausstellung machte ihren spiritus rector endgültig international bekannt.
Zuhause konnte er fast nur auf verständnislose Pressereaktionen zählen. Szeemann gab den Direktionsposten in Bern wieder auf und gründete eine "Agentur für geistige Gastarbeit", bot also nun als "freelancer" ausstellungstechnische "software" an, die von der Konzeption bis zur Finanzierug reichte. Ebenso kreativ wie durchset-zungsstark im internationalen Ausstel-lungsbetrieb schuf Szeemann einen ganz neuen Typus von Kunstvermittler, ohne den die institutionell etablierte Kunstszene heute noch auskommt.
In freiem Management organisierte Szeemann jetzt einen Querschnitt durch die europäische Happening- und Fluxusbewegung und wurde für 1972 an die Spitze der Kassler Documenta berufen, an der er die Grundzüge einer neuen Beschreibungs-kategorie - "individuelle Mythologien" - entwarf. Sie gewann über ihre aktuelle Evidenz hinaus bald historische Dimension und sollte Szeemann die ganzen siebziger Jahre über als "Museum der Obsessionen" beschäftigen. Mit dem Triptycon "Jungge-sellenmaschinen" (1975), "Monte Verità" (1978) und "Hang zum Gesamtkunstwerk" (1983) versuchte er, europäische Kultur und ihre Obsessionen mit dem Medium der Ausstellung zu erfassen.
Thema, Organisation, Finanzierung, Auswahl, Katalog und Inszenierung verschmelzen bei Szeemann zu Ausstellungsereignisse, die unübersehbare handschriftliche Züge tragen und stets auch auf ihren Autor zurückweisen. Die Aus- einandersetzung mit dem nun 30-jährigen Kapitel Ausstellungsgeschichte, das Harald Szeemann verantwortet, ist konstitutiver Bestandteil des Filmporträts geworden.